Die Geschichte der Autorennbahn
Artikel wurde aktualisiert am 16.02.2016
Kaum eine Marke ist so sehr zum Synonym fรผr den dahinterstehenden Artikel geworden wie Carrera. Jede unter diesem Namen produzierte bzw. angebotene elektrische Autorennbahn steht fรผr hochwertiges Material, detailgenaue Verarbeitung, verlรคssliche Technik, hรถchste Qualitรคt – und eine Entwicklungsgeschichte, die ihresgleichen sucht: Die Vorlรคufer der heute bekannten Slotcar-Bahn standen Pate fรผr eine der hรคrtesten Sportarten weltweit – das Autorennen.
Von der Henne zum Ei – oder umgekehrt?
Was wie ein Paradoxum klingt, erklรคrt sich durch einen Blick in die Historie des beliebten Spielzeuges. Noch bevor an Motorsport oder die ihm nachempfundene Slot-Bahn รผberhaupt zu denken war, stellten fortschrittliche Eltern des ausgehenden 19. Jahrhunderts ihren Kindern mechanisch betriebene Modellautos zur Verfรผgung. Hochwertig ausgestattete und genรผgend aufgezogene Flitzer brachten es auf eine bemerkenswerte Geschwindigkeit – und animierten ihre kleinen Besitzer zu Wettfahrten quer durch die gutbรผrgerliche Wohnung.
Dieser Kinderspaร stieร bei den tipp-verrรผckten Briten auf groรes Interesse. Sie verfeinerten die Ausstattung der Miniatur-Nachbauten und lieรen sie gegen hohe Einsรคtze um Sieg oder Platz fahren. Nachdem sich daraus in vielen kleinen Schritten ein Sport mit echten Autos entwickelt hatte, folgte bald der Umkehrschluss: Die groรe Rennstrecke fand ihren Weg in die Kinderzimmer.
Aller Anfang ist schwer – bzw. langsam
Bevor die verkleinerte Ausgabe zur ersten Slot-Bahn wurde, bestand der nachgebaute Raceway aus einer Fahrflรคche mit hoch aufgewรถlbten Rรคndern, welche die darauf gesetzten Mini-Rennwagen in der Spur hielten. Wie ihre Vorlรคufer mussten auch diese Autos noch per Hand aufgezogen werden. Aufgrund ihrer inzwischen deutlich geschrumpften Grรถรe besaรen sie einen Antrieb in Form von Uhrwerken, mit deren Hilfe sie sich รผber einen lรคngeren Zeitraum vorwรคrts bewegen konnten. Das Gewicht der รผblicherweise verwendeten Spielzeug-Materialien Holz und Metall machte die kleinen Fahrzeuge allerdings relativ trรคge, so dass sich die spannenden Rennen der „Groรen“ damit nur bedingt simulieren lieรen.Flugzeug und Eisenbahn – groรe Vorbilder fรผr kleine Flitzer
Diesem Umstand wussten findige Vรคter durch Anleihen beim Flugzeug- bzw. Flugmodellbau zu begegnen. Sie statteten die Autos ihrer Kinder mit Miniatur-Dieselmotoren aus und entwarfen die ersten Wagen aus gewichtsarmen Werkstoffen. Dabei kamen bevorzugt Leichtmetallbleche und Balsaholz zum Einsatz. Die nun leistungsstรคrkeren Antriebe und das wenig wiegende Material machten die kleinen Flitzer wesentlich schneller – erhรถhten jedoch gleichzeitig die Gefahr, dass die Fahrzeuge umkippten oder aus der Kurve getragen wurden.
Um die Mini-Autos auch bei hohem Tempo in der Spur halten zu kรถnnen, entwarfen Freunde rasanter Fahrten eine Vorrichtung, deren Prinzip der spรคteren Slot-Bahn bereits verblรผffend รคhnlich war: In Anlehnung an das bereits bekannte System von Modelleisenbahnen fรผhrten sie ihre Rennwagen mittels eines schienenรคhnlichen Metallbandes รผber die Fahrflรคche.
Neue Bauweise – neues Wettglรผck
Auch diesen Entwicklungsschritt wussten die wettbegeisterten Englรคnder fรผr sich zu nutzen: Die eigentlich fรผr Kinder gedachten Anlagen wurden ab den frรผhen 1950-er Jahren vermehrt in den Hinterzimmern von Pubs oder anderen gestronomischen Einrichtungen aufgebaut. Hier fanden unter den Augen zahlreicher Erwachsener Vorlรคufer des spรคteren Slotracing statt.
Um die Miniatur-Autos wรคhrend der Wettfahrten besser steuern, kontrollieren und ganz sicher siegen lassen zu kรถnnen, bauten Fans der so genannten „Railracings“ das Prinzip der Rennbahnen weiter aus. Sie ersetzten die kleinen Dieselmotoren der Flitzer durch einen Elektroantrieb und fรผgten dem schienenartigen Fรผhrungsstrang ein weiteres Metallband hinzu. Darรผber konnten sie die Wagen mit Strom versorgen – und konstruierten so die weltweit erste elektrische Autorennbahn. Zum Drosseln oder Erhรถhen der Geschwindigkeit dienten von Morse-Apparaten entlehnte Drucktaster bzw. Lenkrรคdern nachempfundene Drehregler.
Von der Schiene zum Slot und zu mehr Mobilitรคt
Durch Tiefer- bzw. Flachlegen wandelte sich der anfangs noch leicht erhabene Schienstrang zum Fรผhrungsschlitz – jenem „Slot“, der den immer weiter entwickelten Rennstrecken schlieรlich ihren Namen gab. Mit Erfindung des Werkstoffes Plastik stand endlich auch das ideale Baumaterial fรผr Fahrflรคchen und Autos zur Verfรผgung: preiswert, strapazierfรคhig und vor allem leicht.Damit aber schien die Entwicklung erst richtig in Gang zu kommen. Ein drittes Mal trug die Wettfreude des britischen Volkes zu einem Meilenstein in der Geschichte des Slotracing bei. Weil die Sieger der einzelnen Grafschaften des Landes gegeneinander antreten sollten, aber keiner auf seine gewohnte Ausstattung verzichten wollte, konstruierten clevere Mitbรผrger kurzerhand eine mobile Rennbahn. Deren Einzelteile lieรen sich so leicht auseinandernehmen und wieder zusammenstecken, dass die Neuerung umgehend auch als Spielzeug-Bausatz angeboten wurde. Damit hatte die Carrera Autorennbahn wiederholt eine Brรผcke zwischen Kindern und Erwachsenen geschlagen.
Die Rennstrecke wird zum Renner
Als sei das nicht genug, schufen Slotcar-Bahnen kurz darauf auch noch eine Verbindung zwischen alter und neuer Welt: Sie schafften den Sprung รผber den „groรen Teich“ und schlugen am Zielort ein wie eine redensartliche Bombe. In den USA entwickelten sich die Mini-Rennstrecken zum regelrechten Boom. Nahezu allerorts wurde mehrmals tรคglich ein Slotracing ausgetragen, fรผr das spezielle „Modelcar-Raceways“ entstanden. Die maรstabsgetreuen Anlagen verfรผgten รผber gleich mehrere Fahrspuren, welche einzeln gemietet werden konnten und รผber nie dagewesene Distanzen von bis zu 80 m fรผhrten. Zusatzelemente wie Steilkurven oder Loopings entsprachen zwar nicht mehr dem realen Vorbild, erhรถhten den Reiz damit ausgestatteter Slot-Bahnen jedoch zusรคtzlich.
In der alten Heimat wollte das Mietbahnen-Konzept hingegen partout nicht fuรen. Hier entwickelte sich die elektrische Autorennbahn dafรผr zum hรคrtesten Konkurrenten der Modelleisenbahn. Immer mehr Hersteller von Miniatur-Zรผgen boten nun auch auf 1:32 verkleinerte Slotcars mit dazugehรถrigen Fahrstrecken an. Den grรถรten Erfolg hatten jene, die passendes Zubehรถr wie Tuning-Artikel, Landschafts-Elemente oder Figuren-Gruppen mitlieferten. Carrera tat sich in dieser Zeit durch eine auf acht Spuren erweiterbare Slot-Bahn hervor.
Flaute im Fahrerlager
Nach gut einem Jahrzehnt ebbte die „Slotcar-Mania“ ebenso plรถtzlich ab, wie sie begonnen hatte. Sowohl in den Ursprungslรคndern als auch im weltgewandten Amerika legte sich eine dicke Staubschicht auf die Anlagen und auf die Geschichte des Slotracing. Die ehemals boomenden Mietbahn-Anlagen mussten schlieรen oder einer anderen Nutzung zugefรผhrt werden. Von den einst fรผhrenden Herstellern konnten es sich nur wenige leisten, weiterhin Rennstrecken-Systeme im Angebot zu haben. Auch Carrera verbuchte nur mรครigen Erfolg bei dem Versuch, zusรคtzliche Spielelemente fรผr seine Slotcar-Bahn zu etablieren.
Neustart in den Neunzigern
Dabei war die Idee gar nicht schlecht. Sie kam nur etwas zu frรผh, denn erst im ausgehenden 20. Jahrhundert erlebte das Genre eine Wiederbelebung. Doch anders als in den zurรผckliegenden 60-ern steht seither nicht mehr der Wettbewerbsgedanke im Vordergrund, sondern der – auch real existierende – Teamgeist. Heute ausgetragene Slotracings orientieren sich mehr denn je an den Bedingungen des echten Rennsports. Dementsprechend hat auch fast jede aktuell erhรคltliche Slotcar-Bahn eine umfassende รberarbeitung erfahren.
Carrera Rennbahn
Einige Klassiker aber scheinen unverwรผstlich. So ist das achtspurige System von Carrera zwar ebenfalls grรผndlich modernisiert worden, gilt jedoch nach wie vor als DIE elektrische Autobahn schlechthin. Dass sie auch heute noch fรผr den „typischen“ Vertreter einer Reihe รคhnlich gestalteter Spielzeuge gehalten wird, liegt nicht zuletzt daran, dass die Carrera Rennbahn von Anfang an ausdauernd an der Geschichte von Slot-Bahnen mitgeschrieben hat.
Ungebrochen aktuell
Kaum ein anderes Unternehmen darf zur Ergรคnzung seiner Produkte so viele Lizenzbauten verwenden wie die Tochtergesellschaft des รถsterreichischen Spielzeugherstellers Stadlbauer: Zahlreiche Carrera-Modelle bilden bekannte Wagen der Formel 1 oder der Deutschen Touren-Meisterschaft ab. Darรผber hinaus sind als Zubehรถr fรผr eine Slotcar-Bahn von Carrera auch Nachbauten historischer Rennautos erhรคltlich, die bei Sammlern der flinken Flitzer besonders hoch im Kurs stehen. Hoffentlich bleiben uns die Autorennbahnen noch ganz lange erhalten.
Guter Artikel รผber die Autorennbahn. Ich hatte meine erste vor 35 Jahren :)